Nein! Im Gegensatz zum Sport, bei welchem man die Leistung exakt messen kann, manchmal auf die 100el Sekunde, spielen bei der Musik die Gefühle die grösste Rolle. Auch wenn der Gitarren-Weltrekords-Shredder seine Salven in Vollendung runterballert, könnte es sein, dass nicht alle Musikliebhaber in Ekstase geraten. Ebenso lässt ein Zuhörer im Konzertsaal die komplexe mehrstündige Pianodarbietung auf höchstem Niveau kalt, was diesem (dem Zuhörer) natürlich sehr peinlich ist. Er verlässt unbeeindruckt und unbemerkt den Saal, ums sich ja nicht noch in einem klassischen Diskurs mit einem Klassik-Liebhaber zu verheddern.
Was macht es den aus, dass ein Song oder ein Instrumental charttechnisch durch die Decke geht? Zum einen geht es darum, ob mir das Stück ein gutes Gefühl vermittelt. Dies ist rein subjektiv. Vielleicht hatte ich einen schlechten Tag im Büro und nun kann es sein, dass ich das Radio einschalte und eine Sängerin besingt genau dieses Thema, trifft bei mir also voll ins Schwarze. Vielleicht bin ich allgemein in einem Stimmungstief und ein bekannter Sommerhit bringt mich in eine Feelgood-Phase. Bei beiden Beispielen ist es mir völlig schnuppe, ob der Musiker einen Abschluss hat bzw. objektiv gar nicht in dieser Liga spielen dürfte. Entweder gefällt es einem oder eben nicht, Punkt.
Zum Zweiten, und dies spielt sich sicher bei der jüngeren Generation ab, wird abgecheckt ob der Song dem Zeitgeist entspricht, ob er trendy ist oder ob ich mich als Schnarchnase oute, sollte er mir gefallen. Hier ist der Gruppendruck enorm und vermutlich ist es vielen schon so ergangen, dass ein Song auf diese Weise „schön gehört“ wurde. Man will ja nicht abseits stehen und beschäftigt sich deshalb eher mit dem cooleren Chart-Stoff. Gewisse uncoole Songs, kann man ja zu Hause im stillen Kämmerlein hören, braucht ja keiner mitzukriegen.
Dann ist da noch die akademische Elite, die den Song nach „Können“ bewerten. Obwohl dies bis zu einem gewissen Grad subjektiv ist, erkennt man schnell, ob es ein Musiker drauf hat oder nicht. Die Königsdisziplin ist daher der Jazz oder die klassische Musik. Auf diesen Bühnen werden sie weder die Flippers, die Flamingos oder die Romantik-Buben antreffen. Hier trifft man Virtuosen.
Dass es die letzteren meist nicht in die Charts schaffen, liegt eben daran, dass die Musik nach so vielen Kriterien bewertet wird, wie es Menschen gibt. Was für viele den Lebensinhalt bedeutet, ist für andere einfach ein Nebengeräusch aus dem Radio, dass den Tag ein wenig unterhaltsamer macht. Also völlig Wurst ob es die Sonne von Barbados ist oder Marmor und Stein, der bricht.
Und Romantiker können aus dem Füllhorn schöpfen: Die Liebe ist vielfach der Kompositions-Motor für die erfolgreichsten Texte.
Roland Chopard