«Oh, leider bin ich nicht genug talentiert, ein Musikinstrument zu spielen…»
Wie oft haben sie diesen auch in einem anderen Kontext gehört? Vielleicht mag einem das Quäntchen Talent anfangs ein wenig Vorsprung verschaffen, doch Jahre später siegt der Durchhaltewillen, das regelmässige Üben sowie eiserne Disziplin. Worte die in der heutigen Zeit ein wenig veraltet anmuten.
Das Ganze geht auch wesentlich tiefer: Das Gitarrenspiel hat so viele Facetten und fordert so viele Geschicklichkeiten, deren Vielfalt es unmöglich machen, jeden Bereich mit Talent abzudecken:
- Gespür für Rhythmik und Dynamik (laut leise)
- Musikgehör, Töne in der richtigen Tonlage nachsingen können
- Theorieverständnis, Notenlehre, Harmonielehre (ein wenig wie Mathematik)
- Improvisationstalent, falls man improvisieren will
- Stimme, falls man singen will
- Entertainment und Grad des Lampenfiebers, falls man auftreten will
- Auf das Publikum eingehen, falls man auftreten will
- Verständnis und Feeling für die technische Seite des Instruments
- Akkorddiagramme, Tabulaturen verstehen
- Akkorde greifen der linken Hand
- komplex und schnelle Zupfmuster spielen mit der rechten Hand
Wie sie sehen, ist es mit dem Begriff Talent nicht abgedeckt. Vielleicht haben sie ein Talent für das kognitive Feeling im Kontext mit dem Greifen der Akkorde oder für das Zupfen mit der rechten Hand. Oder sie checken den Theorieteil sofort, während es in der Rhythmik hapert. Möchten sie gerne den Durchbruch als Singer/Songwriter, haben Top Songs geschrieben (Kompositionstalent), aber ihre Stimme klingt jenseits von Gut und Böse? Dann halt ein Instrumental-Blues, aber ihnen geht einfach das Feeling für das Improvisieren ab.
Was ist zu tun? Den Begriff «Talent» würde ich fortan mit dem Begriff «Neigung» ersetzen. Einfach ein wenig das Gefühl und die Freude für das Instrument haben. In den letzten Jahren unterrichtete ich selten «unbegabte» Schüler, da die meisten, die sich für etwas interessieren, auch ein wenig Freude und Gespür für die Sache haben. Irgendwie ist ja ein Interesse vorhanden dh. man setzt sich mit dieser Sache auseinander, hat im besten Fall das Feuer dazu und deshalb werden wir auch durch dieses Feuer und diesen Spass in irgendetwas besser. Regeln bestätigen die Ausnahmen. Wir reden dann von der Diskrepanz von Eignung und Neigung, wie beispielsweise eine Person, die die 5 gerade lässt und unbedingt Buchhalter werden will oder mit einfachen Formeln mächtig Probleme hat und es zum Astro-Physiker bringen will. In solchen Berufen denke, ist das Talent für die Sache entscheidender.
Beginnen sie einfach mal einen Kurs mit dem Gitarrenspiel, sollten sie das Gefühl haben, es wäre was für sie. Mit zunehmender Erfahrung, werden sie ihre Stärken und Schwächen erkennen und dem entsprechend ihren Stil oder ihre Nische finden. Und sie werden Spass haben. Sie können nicht alle Facetten mit Talent abdecken. Es gibt auch keinen Königsweg, nach dem ich oft gefragt werde. Die Antwort ist simpel und brutal: Üben, üben, üben, daran fügt kein Weg vorbei!
«Alle Dinge sind schwer bevor sie leicht werden.»
Thomas Fuller