Noten lesen lernen oder nicht?

Eine komplexe Frage, wo man wieder ein wenig an der Oberfläche kratzen muss. Ich will hier lediglich ein paar Gedanken niederschreiben, denn am Schluss muss es jeder für sich entscheiden.

Klar, muss man Notenlesen, wenn man ein guter Musiker werden will! Ja, wirklich? Waren die Beatles, die Rolling Stones und vieeele andere berühmten Bands, die Stadien füllten keine guten Musiker, während, extrem ausgedrückt, der notensichere Jazzer sich in Kneipen ein wenig Gage erspielt? Oder hat der Gitarrist von der Band «Kansas», als er «Dust in the wind»  komponierte gesagt, «Hey hört mal wie dies klingt: Ich spiele ein Cadd9, ein C und schlussendlich einen Cmaj7, whau!» oder hat er womöglich einfach ein wenig kreativ auf der Gitarre rumprobiert. Finger weg Finger drauf, try and error. Ich denke zweiteres, sicherlich am Anfang in jungen Jahren. Viele lernten im Laufe der Karriere dazu, doch die Kreativität stand im Vorgergrund.

Wenn ich ihnen jetzt sage, dass bei einem mehrjährigen Notenlesetraining streng genommen, das Gehör, das wichtigste Organ in der Musik,  aussen vor bleibt, dann tritt zunächst ein wenig Verwunderung in unser Gesicht. Doch was passiert beim Vorgang am Klavier mit dem Notenblatt vor Augen. Das Auge liest die Note(n), das Hirn überträgt diesen Information an die Hände, die entsprechend dem Notenbild die richtige Taste drücken. Natürlich hat das Ohr eine kleinere Aufgabe als Tonüberwacher, ob die Lautstärke ok ist oder ob das Ganze im Kontext richtig klingt und schlussendlich erfreuen wir uns ob dem Klang. Doch im ketzerisch formuliert, könnte der Vorgang des Notenlesens sowie des Tastendrückens ohne Ohr erfolgen.

Der Zweck des Notenlesens ist auch, Werke von Komponisten nach zu spielen. Aber wenn ich meine Songs selber komponiere, entfällt das Nachspielen, also was solls, denn die, die komponierten Songs nachspielen wollen, sollen selber schauen. Wir haben ja jetzt im Gegensatz vor 400 Jahren Natels und sonstige Aufnahmegeräte, notfalls noch mit Kamera und stellen es auf Youtube. Das bringt mich zu folgender Frage: hätten die klassischen Komponisten von früher diese Geräte zur Verfügung, wäre dann die Notenschrift überhaupt entstanden? Ich weiss es nicht…

Warum bloss sind in erster Linie die Gitarristen die «Notenlese-Verweigerer». Ganz einfach: zum Ersten lässt sich das Abbild der 6 Saiten mit 6 Linien darstellen (klassische Partituren weisen 5 Linien auf). Nun hat man als Grundlage mal 6 Töne, nämlich die von der jeweiligen leeren Saite. Tja, wie bringt man nun weitere Töne ins Spiel? Je nachdem welchen Bund ich drücke variieren die Tonhöhen. Nun können die «Bundnummern» mit Zahlen auf die jeweilige Saite geschrieben werden und schon haben wir die Melodie. Ohne Berücksichtigung auf Kreuze oder b’s, wir haben ja keine verschiedenen Tonarten, auf die man Acht geben müsste.


hier sieht man deutlich den Vergleich zwischen der klassischen Notation und der sogenannten Gitarren-Tabulatur.

Versuchen sie mal ähnliches mit Klavier oder Zither…. Die Gitarre ist wirklich wie geschaffen für solch eine Notation, die notabene international verbreitet ist und wie im obigen Beispiel mit beiden Systemen dargestellt wird. Zugegeben, rhythmisch lässt das Tabulatursystem manchmal zu wünschen übrig.

Das Tabulatursystem beinhaltet natürlich eine zeitliche Komponente. man spielt die Melodie von links nach rechts und stehen die Zahlen untereinander, so werden die Töne logischerweise gleichzeitig gespielt.

Das zweite Notationssystem beim Gitarrenspiel ist das Akkorddiagramm. Wieder kommen 6 Saiten ins Spiel mit entsprechenden Punkten oder Zahlen wo gedrückt werden muss.

Dieses Diagramm kommt noch einfacher daher als das Tabulatursystem und vor allem bei Einsteigern sonnenklar. Da macht es doch mehr Spass, die Akkorde auf diese Weise zu lernen als zuerst das Notensystem zu lernen um danach nach Noten einen Akkord zu drücken, wie sie mir sicherlich zustimmen werden, wenn sie nachfolgende Abbildung betrachten.

Die wichtigsten 24 Akkorde auf dem Klavier, mit Fingersatz (gratis PDF)

Ein Einsteiger kann nach einer Woche locker ein paar Akkorde spielen, aber mit dem Notensystem wirds ein wenig «länger» dauern. Das mag mitunter ein Grund sein, weshalb im Gitarrenspiel die Noten eher vernachlässigt werden bzw. erst später erlernt werden. Deshalb tönen, bitte verzeiht mir jetzt, die Kinderkonzerte, an denen die Schüler zeigen, was sie in einem Jahr gelernt haben, ein wenig dünn oder zäh, weil sie sich das Notensystem so gut als möglich verinnerlicht haben und alle miteinander versuchen dies alles unter einen Hut zu bringen. In der Zwischenzeit spielt das Rock-Kid «Smoke on the Water» und brilliert mit Powerchords, was doch satter tönt und einfacher zu lernen ist. Am Anfang ist der Akkordiagrammer im Vorteil, was den Sound betrifft. Doch der Notenleser holt mit den Jahren auf.

Zusammengefasst kann ich sagen, dass das Tabulatur- bzw. Akkord-Diagramm-System nur für die Gitarre gemacht ist, während die «klassische» Notenpartitur für alle Instrumente gelten. Ein gewaltiger Vorteil des klassischen Notensystems.

Die meisten Instrumente ausserhalb der gitarrenähnlichen-Saiteninstrumente (Bass, Ukulele, Banjo etc.) sollten mit Noten erlernt werden. Und es ist nicht so, dass einem das Notenlernen das «Feeling» und die Kreativität raubt, ganz im Gegenteil: Ich kenne Profis, die das Rundum-Paket abliefern. Sie rocken ab und wenn sie mal ein Notenblatt vor die Nase gehalten kriegen, drücken sie weiter ab, so sollte es sein.

Wie bringt man einen Rockmusiker zum Schweigen? Man legt ihm ein Notenblatt hin.