In Würde altern…

…ist ein Thema über das ich nicht schreiben kann ohne dass es ein wenig persönlich wird. Als Unternehmensberater würde ich dem Grosskonzern raten, diesen Blog zu lassen, aber für einen Musiker drücken wir ein Auge zu, wir sind alles Menschen und ich hoffe, es ist ok.

«Hey cool, dass du das noch in deinem Alter machst…» Schach und Matt! Es ist nicht etwa eine Trip ins All gemeint oder eine Reise zu Fuss durch Europa, nein, es ging hier um die Tatsache, dass ich mit 52 (also jetzt 2023 vor elf Jahren) auf ein Skateboard gestiegen bin und ein wenig die Balance ausprobiert habe. Ein anderes Beispiel? Ein Gitarrenschüler beklagte sich über Schmerzen im Arm und auf meine Antwort, dass auch ich dies auch manchmal verspüre, kam postwendend und zackig ein «Ja, aber du bist schon 60!» Diese Statements, die man immer öfter hört, sind lustig und nie böse gemeint. 1981 spielte in unserer Band «Zip Code» ein 32 jähriger Gitarrist mit. Jean Claude war für mich damals uralt und wir sagten uns, dass er halt gut spiele und er bleiben könne. Jean Claude war damals 31 Jahre jünger als ich jetzt bin. Selber spürt man es nicht so intensiv, dass man altert, man wird häufiger darauf hingewiesen. Einzig gewisse Vorkommnisse oder Einsichten demonstrieren den Prozess des grausamen Zellverfalls, wie die Idee, dass ich nun meine Lesebrille an einer Kette umhängen muss, damit ich sie immer bei mir habe. Haben sie schon mal einen obercoolen 21-Jährigen mit einer umgehängten Lesebrille gesehen? Ebenso muss ich nun aufpassen, dass ich mich nicht verheddere, wenn ich auf einem Bein eine Hose abstreife, denn ein Sturz in der Wohnung endet aktuell nicht mehr so locker wie vor 40 Jahren. Auch die Tatsache, dass ich nun künftig auf das geliebte Skifahren verzichte, da erstens die Kollisions- und Sturzgefahr stetig zunimmt und ich mir der ganze Zirkus mit schweren Skischuhen und dem Skitransport nicht mehr so Spass macht.

Ist man nicht so optimistisch und nicht immer bestens gelaunt, wie Emil Steinberger, der mit 90 immer noch auf der Bühne steht, kann es einem schon auf den Magen schlagen, dass man in der Berufswelt mit 50 bereits ausgezählt wird, von 60 Lenzen ganz zu schweigen. Jung und dynamisch ist die Devise. Es gibt Unternehmen in jüngeren Branchen, in denen sie im Office vergeblich einen Mitarbeiter über 30 antreffen. Das Gap mit den IT-Kenntnissen wir immer grösser und wenn ich mir so über 60 Jährige anhöre mit Sprüchen wie «Der ganze Computerkram kümmert mich nicht, es ging früher besser ohne…» oder wenn ich einer älteren Person schnell chatte und auf ein OK Retourchat mit zwei Buchstaben (OK) warte…  Dann probiert mich derjenige verzweifelt anzurufen, weil er nicht gerne simselt oder chattet und überhaupt Probleme mit dem Natel hat. Hie und da ist auch ein wenig eigenes Verschulden, da wir halt zu viele und zu schnelle Veränderungen hassen. Aber auch ich habe schon gesagt, dass ich nach der Pensionierung den ganzen PC Plastik Schrott zum Fenster rauswerfe. Leider oder auch Gottseidank muss ich mich mit Office, Internet, Webdesign, Skype oder dem sonstigen ganzen Kram befassen. Es hält einem jung…

Was hat das mit Musik zu tun? Schlagen wir nun den Bogen und ich behaupte, dass Musik eines gewissen Stils eher die Sache jüngerer Menschen ist. Nun werden sie einwenden es gäbe die Stones, ZZ-Top und wie die älteren Bands alle heissen mögen. Ja klar, aber die waren bereits in jungen Jahren berühmt und bauten sich eine Fangemeinde auf, die sie nun bis ans Ende ihrer Tage begleiten. Ich rede von den Amateurmusikern oder Teachern wie ich, die nun mit über 60 noch im «Business» sind. Selbstredend, dass man nicht mehr als Hochzeitsmusiker engagiert wird, ebenso können sie eine Teilnahme bei DSDS (siehe vergangener Blog) vergessen. Bewerben sie sich als Gitarrist bei einer jüngeren Band, so ist diese Spitex Beziehung nicht erwünscht. Und eine jüngere Band dessen Bandmembers eine Tatooausstellung an vielen Körperflächen haben und deren Haare ungezähmt in’s Gesicht fallen, wirken einfach cooler als ein paar ältere gesetzte Herren, die den alten Blues Rock zelebrieren. Singe ich einen Text über die grosse Liebe ist das auch nicht der Brüller, da ich erstens zwei Kinder und zwei Enkelkinder habe und die Liebe in späteren Jahren halt nicht mehr auf reiner Schönheit und Schmetterlingsgefühlen basiert. Dann gibt es die grässlichen Dinge, wie die Stimme, die ab 60 bricht und das Gehör, das nicht mehr so sauber intoniert wie auch schon. Ich gehe nicht nur mit mir hart ins Gericht sondern ich würde mir wünschen, dass Paul McCartney, so sehr ich ihn vergöttere, sich nun endlich das Singen verkneifen würde. Obwohl er ein ständiger Jungbrunnen zu sein scheint, nagt auch an ihm das Alter, wäre ja auch ungerecht.

Da ich mich in Sachen Gig-Anfragen aktuell nicht beklagen kann und genügend Gitarrenschüler unterrichte, gehe ich davon aus, dass ich dieses Thema schon ein wenig überbewerte bzw. pessimistisch betrachte. Es gibt viele ältere Damen und Herren, die gar nicht lamentieren sondern einfach das Leben geniessen, so wie es ihnen möglich ist. Der mentale Aspekt spielt eine grosse Rolle und die Gründe für meine eher pessimistische Sichtweise hat auch mit meinen Eltern zu tun. Beide bestimmten den Zeitpunkt ihres Todes. Meine Mutter nach einer Krankheit durch die Sterbehilfe «Exit» und mein Vater beschloss, die Ernährungssonde zu entfernen um danach ein Sterbehospiz aufzusuchen. Etwas über 2 Wochen dauerte es danach bis zu seinem Tod. Dem Alter konnte ich demnach nichts Gutes anhaben und selbst meine Mutter verteufelte das Altwerden, denn sie war früher eine agile, schöne und unabhängige Frau. Auch der Besuch in den Altersheimen sowie die Rotkreuz Fahrten, die ich früher als kleiner Nebenverdienst getätigt habe, bestärkten in keiner Weise die Meinung, dass Altwerden ne Hammer Sache ist. Altes ist in unserer schnelllebigen
Social Media Welt, wo das Äusserliche zelebriert wird, die Schönheitschirurgen Hochkonjunktur haben und Andersdenkende schon in der Schule gemobbt werden, nicht mehr erstrebenswert. Ja, es ist grausam, wenn eine etwas seltene sexuelle Orientierung nicht von allen gefeiert wird bzw. ich nicht 8 Toiletten vorfinde, die meinem Status entspricht, aber mit den Jahren von der Gesellschaft einfach ausgemustert zu werden, ist grauenvoll und doch macht es jeder durch, der vorher nicht das Zeitliche segnet, ob reich oder arm.

Doch vorerst geniesse ich es trotzdem, dass meine Finger noch funktionieren, ich gesund unterrichten und auftreten darf. Somit schliesse ich mit einem Buchtitel (Roman von Johannes Mario Simmel) ab:

«Hurra wir leben noch»

 

Hier noch unsere Band «Zip-Code» aus den Anfängen der 80er! Wir komponierten eigene englische Songs und unser Höhepunkt war ein Auftritt im legendären «Atlantis» in Basel. Die Pinkelpause ist nur simuliert!
Von links nach rechts: Rolli, Tseten, Martin und der «alte» 32 jährige Mann mit Schnurrbart