Übungspläne – Sinn und Fluch!

Meine Erkenntnisse in Bezug auf dieses Thema resultieren brutal aus eigenen Erfahrungen. Mein Vater war Biologielaborant, ich damals Chemielaborant, relativ «genaue» Jobs, was dazu führte, dass ich detaillierte, penible, akurate Pläne, «Projektabläufe», Ziele, Zielvorgaben, To do Listen und was es so alles gab aufzeichnete. Damals wusste man nichts von Natels und digitalen Agenden etc., so dass in jener grauer Vorzeit das analoge «Time-System», eine Agenda mit auswechselbaren Listenblättern, die alles abdeckten, was eine «moderne» Agenda so enthalten muss, der absolute Brüller aller Schreibtischkämpfer war.

So weit so gut. Dieses Bedürfnis alles klar zu ordnen, zu strukturieren, zu planen manifestierte sich natürlich auch im Gitarrenspiel. Ich erstelle Übungspläne und je mehr Pläne ich erstellte, desto mehr schuf ich mir ein Monster: Aufwärmübungen, Skalen, Akkorde, Grifftabelle, Wo liegen die Töne. Wenn es hoch kommt, dann noch Abkürzungen wie SK1-357-10 Minuten, SK1-358-20 Minuten etc. Der Zeitaufwand, diese Pläne zu erstellen, war nicht ohne, aber der Hauptfrust hat eine einfache Ursache: Je mehr Ziele und Vorgaben ich mir setze, desto frustrierter bin ich, so viele Punkte zu sehen, die ich  ohne eiserne Disziplin unmöglich einhalten werde. Jede Wette darauf. Es ist natürlich ein wenig eine Charaktersache. Der Perfektionist will dies strukturieren, einen Übungsrückstand erklären können, Massnahmen ergreifen, und nichts dem Zufall zu überlassen.

Mein subjektiver Tipp: Falls ihr es aushaltet, schmeisst die Pläne in die Tonne, schreibt dafür 10 Songs auf, die ihr in einem halben Jahr oder weniger drauf schaffen möchtet. Wenn ihr nun die Songs taktisch so auswählt, dass sie euch einerseits gefallen und auf der anderen Seite vielfältige und coole Gitarrentechniken aufweisen, dann schlägt ihr 2 Fliegen mit einer Klappe: Ihr habt coole Songs in eurem Repi und habt zudem mit den Songs geübt. Nämlich Intros, Solis, neue Akkorde, Begleittechniken, Liedaufbau etc. Habt ihr 100 Songs im Kasten, habt ihr das Vielfache von Techniken im Kasten.

Verbindet also das Üben mit der Musik, also den Songs und nicht mit einem Regal voll Licks, Riffs, Patterns, Strummings etc. die ihr nummeriert und ablegt. Denn alle diese Techniken sollen sich ja am Schluss in einem Song vereinen kein Selbstzweck sein im Sinne: «Guck mal, das ist die oxydologische Skala B33». Und das haben ja schon viele Musiker vor uns gemacht. Sie hirnten sich ein Arrangement aus, nahmen ein Album auf und wir gehen nun den umgekehrten Weg. Wir analysieren die Songs, lernen die Techniken und füllen das Repertoire.

Macht euch das Leben so einfach wie möglich. Wenn wir das Hobby auch noch bis ins Detail strukturieren, brauchen wir bald einen Ausgleich fürs Hobby. Notabene erinnert ihr euch viel eher an einen Song als an das Riff Z35841 aus dem Archiv 55.