Wer lehrt, der lernt!

Mit jeder Lektion und jedem Gitarren- oder Bass-Schüler erweitere ich stetig meinen Horizont. Sei es mit Inputs über neue Wunschsongs, die ich bis anhin noch nicht kannte und die ich danach ins Unterricht-Programm aufnahm oder mit Inputs über Vorschläge was das Pädagogische angeht. Jeder Schüler, Jeder Teacher ist anders und es hilft, wenn auch der Lehrer mit offenen Augen und Ohren oder einfach gesagt, mit offenen Sinnen den Unterricht gestaltet. Die Versuchung ist gross, dies rein aus Bequemlichkeitsgründen und bei einer grösseren Anzahl Schüler, den Unterricht nach einem gewissen Schema abzuhalten. Dies kann für eine Checkliste eines Airbus-Piloten eine Grundvoraussetzung für einen reibungslosen Betrieb sein, im Unterricht hingegen sind Änderungen notwendig. Ich diskutiere auch mit anderen Teachern, echten Profis, Konservatoriumsabgängern und Autodidakten wie mir und stelle natürlich auch fest, dass in grösseren Lehrinstitutionen streng nach Fahrplan gearbeitet wird. Das muss so sein. Im Privatunterricht wäre es von Vorteil, jeweils auf den Schüler einzugehen, beobachte aber auch hier, dass viele sich schwer tun oder einfach nicht die Zeit dazu haben, sich Songs von Schülern draufzuschaffen. Das ist viel Arbeit für den Teacher, vor allem wenn man den Song nicht kennt. Denn der muss genau so pauken, wie die Schüler mit dem Unterschied, dass er infolge mehrjähriger Routine ungefähr weiss, wo was in welcher Lage gedrückt werden sollte. Ebenfalls gelingt ihm das «Raushören» und notieren eines Songs ein wenig besser. Doch es ist immer ein Kraftakt.

Gerade Gitarristen in meinem Alter tendieren dazu die Vergangenheit zu verherrlichen und legem dem Schüler Blues-, Rock- oder Countrysongs der 60er oder 70er (Danach ist schon langsam Ende Gelände) hin. Jeder Schüler die gleichen Songs, geht einfach, hat System und gibt ein wenig mehr Freizeit, klar. Ebenfalls tun wir Alten uns schwer, uns mit modernen Songs anzufreunden, das liegt in der Natur der Sache. Wir lieben Bewährtes, Althergebrachtes und haben Angst, uns in modernere Dinge einzufühlen. Ich lese teilweise gerne Blick-Kommentare. Man lernt verschiedene Charaktere kennen, diverse Ansichten und merkt mit ein wenig Übung immer, in welchem Alter sich der Schreiber befindet. Abgesehen von den Namen wie Sepp, Kurt oder Hans. Alles wird polarisiert und jeder hat eine klar definierte Meinung zu irgend etwas. Manchmal beschleicht mich auch der Gedanke, dass mit abnehmenden Wissen, das Gefühl, viel zu wissen, einhergeht (Danning-Krueger). Auch ich erwische mich manchmal, wenn ich mit der jüngeren Generation hadere. Doch man kann auch viel mitnehmen und ich arbeite daran.

Es gibt aber noch weitere Aspekte. Nehmen wir an der Schüler ist 23 und ich mit meinen 63 Lenzen (2023), zeige ihm einen Song von den Beatles von 1963. Gehen wir es mal rechnerisch durch. Der Schüler lernt einen Song, zu dem er keinen Bezug hat, der 60 Jahre auf dem Buckel hat. Blenden wir zurück ins 1983: Rolli nimmt Lektionen bei einem älteren Herrn. Mir wird ein Song vorgelegt von 1903 nämlich «In the Good old Summertime» von der Sousa’s Band… (Keine Sau kennt diesen Song aus dem Jahr, in dem meine Grossmutter geboren wurde…) Das Gleiche Zeitverhältnis! Schon lustig, wenn man sich dies mal von dieser Warte anschaut. Dann wird es verständlich, warum ein Schüler, die Dire Straits, Donna Summer, Barry White, Sun House, die Animals und Simon and Garfunkel nicht kennt. Es ist schlichtweg nicht ihre Zeit und ihr Musikgeschmack.

Zurück ins 83: Oh je, immer noch besser als «Kum bah yha», denke ich und tröste mich mit dem Gedanken, dass es ja egal ist, zu welcher Musik ich meine Akkorde trainiere. Nein! Ist es eben nicht. Ich stellte fest, dass Gitarrenschüler, Songs, zu denen sie ein Bezug haben, schneller erfassen, weil sie den Song schon zig mal mit Freude gehört haben, also nicht noch zuerst Zeit aufwenden müssen, sich die Melodie und den Ablauf einzuverleiben.

Doch man sollte das eine tun und das andere nicht lassen. Wenn wir die Songs der Schüler einüben um mit ihm dann diese zu erarbeiten, ist er sicher auch gewillt, Songs von mir zu lernen. Der Punkt ist halt manchmal auch der, dass für eine bestimmte Technik ein Song herhalten muss und diese Songs sind klar definiert und das Ganze hat Struktur. Es ist natürlich schon so, dass gerade im modernen Pop sehr viel Elektronik enthalten ist und reine Gitarren-Licks und -Riffs eher im Hintergrund agieren, wenn überhaupt. Ebenfalls hört man heute kaum mehr ein Guitar-Instrumental im Stile der Apache’s oder von Carlo Santana. Und um mal ein solches Stück zu beherrschen ist es vonnöten, sich der Songs aus der Mottenkiste zu bedienen. Was aber in meinen Augen gar nicht mehr geht: Schweizer und Deutsche Volkslieder. Da schläft einem als angehender Rock-Gitarrist wirklich das Gesicht ein. Ausnahme: Der Schüler wünscht dies explizit!

Selbstverständlich habe ich auch Songs von Schülern in mein Solo-Repertoire gepackt und es macht Freude, bei einem Auftritt auch die jüngere Generation zu bedienen. Es versteht sich natürlich von selbst, dass Songs im Bereich des Techno und dessen verwandten Stilen, sich eher weniger für den Gitarrenunterricht eignen.

Ich musste jetzt gerade schmunzeln, da ich ca. 1979 in Basel zu einem wirklich älteren Herrn in den Unterricht ging. Er hiess Paul Geiser (fand nix mehr im Internet, schade) und er war Fan von Django Reinhardt dem weltbesten Swing Gitarristen der 30er und 40er Jahre. Er hatte auch ein Oberlippenbärtchen und er lernte mir all die Jazz-Akkorde, die ich anfangs nicht wissen wollte, aber zu denen ich im Laufe der Zeit eine gewisse Liebe entwickelte. Er zeigte mir Songs wie «Nuages», «Stompin at the Savoy», «Just a Gigolo» und viele andere. Klar gefielen mir die Stones und die Beatles aber ich liess mich darauf ein und während er im Django-Style solierte begleitete ich ihn und das Ganze tönte nach Musik. Unsere Session wurde gelegentlich vom Klingeln der Ladentür unterbrochen, denn er hielt den Unterricht im Nebenraum des Ladens, der mit einem Vorhang getrennt war, ab. Irgendwie Old-School, aber es hatte seinen Charm. Ich fuhr mit meiner Partnerin letztes Jahr nach Basel und fand heraus, wo sich in etwa der Laden befand. Ich arbeitete damals dort auch in der Nähe (Voltaplatz). Obwohl wir heute alles haben in Punkto Medien, also Apps, Youtube -zig Tutorials etc., war die Beschränkung auf das Wesentliche in der damaligen Zeit auch ein wichtiger Faktor, um besser zu werden. Paradox aber wahr.